Ich muss bei dieser Aussage bei mir selbst anfangen. Als ich auf dem Weg zu einem Kunden war, stand eine Frau im Business Outfit kombiniert mit roten, extrem hohen Highheels vor mir am Bahnhof. Sofort kamen mir Bilder in den Kopf, wo sie um 6 Uhr morgens wohl hinfährt und was sie arbeitet. Lassen wir es uns so sagen: Gut ausgebildete Führungskraft war nicht dabei. Dies hätte ich eher einem der Männer um sie herum zugesprochen, die in grauen Anzügen mit Krawatte um uns herum standen.
Und dann habe ich mich über mich selbst erschreckt. Ich würde mich selbst als Frau beschreiben, die über Vorurteilen steht und psychologische Fehlwahrnehmungen, wie den Halo-Effekt (mehr dazu unten), einschätzen kann. Ich möchte nicht, dass jemand über mich urteilt – egal wie ich angezogen bin, ob sie wissen, dass ich ein Kind habe oder dass ich gerne meine Freizeit mit Kochen und Tanzen verbringe – und genau dies erwarte ich auch von mir selbst. Und doch habe ich mich in genau diesen Gedanken wiedergefunden.
Aber warum? Wie kann ein einziges Merkmal so relevant sein, dass wir darüber Aussagen über jemanden machen?
Eng anliegend oder lieber weit geschnitten? Schon kleine Unterschiede in der Kleiderwahl beeinflussen, wie wir eine Person beurteilen
Die Psychologie zeigt, dass es genau so ist. Ich erinnere mich an Studien zur Personalauswahl. Frauen, die sich männlich präsentieren, werden eher eingestellt und als fähiger eingestuft (Link). Männlich bedeutete hier, dass es ein dunkler Anzug war, der wenig Figur zeigte. Weiblich wurde hingegen durch ein körperbetontes, helles Kleid erzeugt. Alleine diese Unterschiede beeinflussten die Wahrnehmung. Es ist zwar eine Studie aus den 90ern, doch genau dies begegnet auch mir heute immer wieder.
Ich beobachte dies vor allem in Auswahlsituationen, wenn es darum geht, Personen beispielsweise hinsichtlich ihrer Kommunikationsstärke, ihrem Teamgeist oder Durchsetzungsvermögen einzuschätzen. Natürlich machen wir uns ein Bild von einer Person, je nachdem wie sie aussieht. Und gleichzeitig weiß ich, wie gefährlich das ist.
Der Halo-Effekt: Ein Merkmal überstrahlt alles andere – wir beurteilen andere unfair
Diesen Effekt beschreibt der Halo-Effekt oder auch Überstrahlungseffekt. Eine Charakteristik überstrahlt sozusagen alles andere bei einer Person. Nehmen wir die Highheels: Sie überstrahlen alles andere. Wir assoziieren im schlimmsten Fall mit Vorurteilen, z. B. dass diese Person weniger gewissenhaft, sprunghafter oder weniger intelligent ist. Diese Assoziationen überstrahlen alles andere, was wir wahrnehmen. Entsprechend schätzen wir sie unfair ein.
4 Schritte, die wir alle gehen können, um andere fairer einzuschätzen
Was können wir tun?
- Wahrnehmen, was wir wahrnehmen. Klingt einfach, aber ist es meist nicht. Wirklich hinschauen und überlegen, was wir assoziieren. Sich den Halo-Effekt in den Kopf zu rufen, ist das Wichtigste.
- Nicht nur darauf achten, wo eine Person unsere Annahme bestätigt, sondern auch auf die Beispiele zu achten, wo sie sich genau gegensätzlich zu unserer ursprünglichen Assoziation verhält.
- Nicht unter Zeitdruck über jemanden urteilen, weil wir dann nicht die Zeit haben, unsere Vorurteile zu reflektieren.
- Bei wichtigen Einschätzungen: Mit einer anderen Person Rücksprache halten. So haben wir zumindest zwei Wahrnehmungen.
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